top of page

034_2022. An Tagen wie diesen

  • Autorenbild: GM
    GM
  • 23. Juli 2022
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 23. Juli 2022

23.07.2022, Samstag, 14:54 Uhr, Balkonien

Chez D., Glow.

Pieps ist sichtlich erfreut über meine Gesellschaft und den vibrierenden Bass unter ihrem Hintern. Zwitschert sich fröhlich einen. Zappelt auf ihrem einen Beinchen. Pickt an der frisch zerdrückten Blaubeere herum und lässt ihre gesträhnten, blauen Kopffedern im Wind zausen. Der dröhnende Bass unter ihrem zarten Leibchen regt die Verdauung an und so scheißt, pardon schießt sie ab und an lila blau gefärbte Bomben nach unten auf den Resonanzkörper. Mein Glück, dass Wind das Zewa am Boden genau unter ihre kleine Rosette getragen hat. Wäre doch ärgerlich, wenn die stahlblaue JBL Box was ab bekäme. Muss nicht. Grins. Moment... Alle zwei Minuten muss ich dem kleinen, zappeligen Zauselchen die Beere wieder ins Gitter drücken. So ist das im Alter. Da bedarf es hie und da ein wenig Assistenz bei der Nahrungsaufnahme. Aber einen gesunden Appetit hat die Dame. Fliegt keinen Meter am Tag, aber zischt die Schimmelmaden weg wie ein Hochleistungssportler. Na, vielleicht wird das ja nochmal was mit dem Gefieder. Irgendwo muss die Energie ja hin. "Hm, was meinst Pieps? Fliegst nochmal so richtig, alte Dame? Liegt's nur an der fehlenden Tragfläche?" "Fifififi", zappelt sie fröhlich auf dem Rand des Futtertroges

und

schießt.

Frisch erleichtert folgt eine einbeinig an der Stange gesicherte Testung der Tragflächen. Frrrrrrrttttttttt! "Na, des hört sich aber schon nach mehr Wums an als die letzten Wochen." Ich presse meine Nase ans Gitter des Transportwürfelchens. "Heute Abend setzt ich dich mal auf die Couch, Zwerg. Dich bissl zu Flugübungen zwingen gell,..."

"Fit!"

Sie würde ja gern. Vielleicht sieht sie wirklich nimmer gut und fliegt deshalb nimmer. Sitzt da im Eck und knopft eigentlich wieder recht munter zu mir herüber. Zuckt immer wieder als würde sie gern.

"Warum tust du es dann nicht, Pieps? Kannst du unter Umständen die Entfernung wirklich nicht mehr abschätzen? Was machen wir denn da? Zum Optiker kann ich schlecht gehen mit dir."

Meise mit Brille. Niedliche Vorstellung. Ich würd's tun für das Wesen mit den tausend Leben.

"Wir probieren das mal mit dem gepufferten Fliegen heute Abend, oder? Leg ich noch die Sportmatten aus. Setz dich auf den Boden. Dann kann ja nicht sooooo viel passieren. Musst doch wieder fit werden, Zwerg."

Schaut mich an. Schüttelt sich. Scheißt.


Der Wind streicht durch die trockenen Blätter der Bäume gegenüber.

Eine Krähe ruft dreimal. Von der Hauptstraße dringt Lärm als lebte ich mitten am Stachus. Nebenan auf dem Balkon wird herzhaft gelacht und geratscht. Lauter junge Stimmen. Sympathische Stimmen.

Ich bin schon ein fürchterlicher Eremit. Hab immer das Gefühl, wer will sich schon mit mir unterhalten. Und über was. Eigentlich ist das schon ein wenig traurig. Weil, eigentlich bin ich vermutlich gar nicht so langweilig. Eher kurzweilig, denke ich. Ich kann halt nur weder Smalltalk noch viele Leute auf einmal. Drum. Sitze ich hier. Neben dem Balkon, der so herzhaft den belanglosen Kontakt pflegt. Lachende, junge Gesichter höre ich. Wortfetzen. "... ja doch eigentlich geht's ihm gut... " "..hey ich überlege... "

"...Mama?" "Sch, Schluss. Schluss"... "... Tankstelle, .... andere Seite...."

"... überleg, ... ähhhhmmm - z - Rio halt.... die Wasserfälle .... nenene"

Worüber Menschen sich so unterhalten. Kann ich nicht mit. Meine Reisen finden in meinem Kopf statt.

Ich hab es echt verlernt. Nie gelernt.

Mit Menschen in oberflächlichen, belanglosen Kontakt gehen. Und das meine ich jetzt nicht despektierlich. Bin halt doch langweilig. Maulfaul.


"Fiiii!" Schau zur Seite. Pieps sitzt aufgeblasen am anderen Ende des Käfigs, das kleine Köpfchen frontal zu mir. An die Wand gelehnt. Mit dem spitzen, alten Schnäbelchen und den dunklen Augenstrichen macht es den Eindruck als sähe sie mich sehr ernst und vorwurfsvoll an. Stellt die Kopffedern, streckt den Hals und "Fiiii!!" *Ja, hast ja Recht Pieps. Ich sollte mich nicht immer so klein machen. Mit mir kann man wunderbar reden. Man muss halt nur die Durststrecke am Anfang überwinden und über ein paar spröde Sprüche ins Glück stolpern.*

Ups! Jetzt aber schnell. Es fängt das Tröpfeln an.


Der Wind streicht durchs Laub, durch meine Haare, an meinen nackten Beinen entlang. Wolkenverhangen der Himmel. Diesig. Die Krähe ruft dreimal.

Dann setzt der Bass wieder ein.

Pryda, Progressive dreamers. Mein Fuß nimmt den Takt auf. mein Kopf, mein Rücken, meine Hüfte. Tanze auf dem Sitzball. Der Paleochair zwischen die Beine geklemmt, darauf das Laptop. Wind. Rascheln. Vor mir wiegen sich die vertrockneten Dünengräser. ein Schluck Espresso.

Wegträumen.

Nach Frankreich. Dyne de Pylat. Oder auch Susatal. Es gibt sie überall weiter unten. Die verhangenen Tage zwischen Sonne, Sonne, Sand und der Luft des Südens. Tage, die nicht wirklich wach werden. Nicht wirklich warm werden. Kalt ist es nicht. Lange geschlafen. Durch den Tag gegammelt bisher. Die Jungs sind unterwegs. Ich kann nicht. Wie immer. Aber es ist ok. Ich kann treiben. Treiben durch den Tag. Die Minuten zu Stunden machen. Sitzen. Schlendern. Sehen, hören, fühlen, riechen. Es gibt sie dort überall, die Tage, an denen Langeweile zum Genuss wird. Der Wind frischt auf. Werde das Geschirr nehmen, zum Abspülen gehen. Oder vielleicht eine Runde hinter dem Platz laufen. Nachher. Über den Platz wandern. Die Ruhe aufsaugen.

Barfuß. Alle Zeit der Welt.


Nachher. Hie und da sitzen vereinzelte Gestalten in der Ruhe des Tages. Vor ihren Hütten, vor ihren Campern. Murmeln schwebt durch die von trockenen Nadeln und Harz geschwängerte Luft. Schritte auf dem Kies zum Sanitärhäuschen. Ein junger Kerl schlendert in kurzer Hose, das Handtuch über die breiten, nackten Schultern geworfen, das Necessaire in er Hand Richtung Duschen. Eyyyy.....autschn...... den hat's sauber gelegt. Packe die Pritsche, suche mir eine gute Position von der aus ich das träge Treiben dezent beobachten kann. Vorne an der Pforte kommt gerade eine Gruppe an. Stellt die Mopeds ab. Erstmal auf die Terrasse neben der Schranke. den ersten Platzespresso. Paolo auf seinem gelben Mountainbike kehrt gerade zurück von deiner Platzrunde. Einer aus der Runde erbarmt sich und knarzt mit seinen starren Stiefeln hinüber den Teer zum Pförtnerhäuschen. Truppe anmelden. Spiele am Handy ein wenig Momente fangen mit meinen Texten.



...

Ich dehne die Zeit.

...




Mir wird kühl. Werd mich zam packen, ein wenig hinter dem Platz den Berg hoch laufen. Richtung Dorf. Von früher träumen. Die Trials zu Fuß gehen die ich nicht mehr fahren kann.


Träumen.

Kann ich.


An Tagen wie diesen, Samstag, 23.07.2022, diesig, 22 °Grad, lauer Wind streicht über meine Haut, an Tagen wie diesen wünschte ich, ich könnte mal wieder dabei sein. Wenn auch nur am Rande. Mitreisen. Abgeben. Daneben sitzen, still beobachten. Nehme den kleinen Basketball und versuche, den Korb zu treffen, den ich für den neuen HundeUni Trick gekauft habe.

Wurf. Bin kein Profi. Der Ball prallt von der Zielscheibe ab, fällt auf die Fliesen meines Balkons und lässt sich vom Wind in die Ecke treiben.

Meine Finger ruhen auf der Tastatur. Meine Augen folgen dem geschickten Spielzug meines kühlen, unsichtbaren Mitspielers, bevor er sich seicht, sanft und kühl um meine Beine wickelt. Spüre ihn, den lauen, salzigen Wind des Südens. An Tagen wie diesen wünschte ich, ich wäre im Urlaub. Irgendwo. Wünschte, ich könnte dahintreiben in der Zeit. An einem der diesigen Tage zwischen den Tagen voller Sonne und Aktion.

Einfach nichts tun, weil man einfach nichts tun kann. Außer die Zeit zu kauen, Blasen zu werfen, sie zu ziehen. Ein Kaugummifaden der durchhängt bis er reißt. Ihn wieder kleben, ziehen. Blasen zum Platzen bringen. Zeitblasen. Und alles los lassen.

Weil es völlig ok ist, alles los zu lassen. Weil Treiben das Ziel ist.

An Tagen wie diesen.

Wenn der Wind mir den Ball zu spielt.


Nehme ich ihn wieder auf und werfe. Sinnlos, planlos. Ziele. Noch und nochmal auf den kleinen Basketballkorb neben mir.

Auf meiner Terrasse.

Weil nichts passieren wird wenn ich sinnlos faustgroße Basketbälle in viel zu tief hängende Körbe werfe, derweil Pieps sich an die zermatschte Blaubeere lehnt und - mit mir - den Tag vergammelt.

Weil wir das dürfen.

Auch, wenn wir nicht verreisen können.

Werden.


Weil.


Ich geh mal den Ball holen. Der ist beim Nachbarn unten gelandet.

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


  • Facebook
  • Twitter
  • LinkedIn

©2022 MeinNameistnichtwichtig. Erstellt mit Wix.com

bottom of page