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011_2020. Anfahren. Von Null auf Normal. Tag 19

  • Autorenbild: GM
    GM
  • 12. Sept. 2020
  • 8 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 1. März 2022

Tag 19, Tag zwölf zuhause, Mittwoch

Tagsüber, ich blicke zurück. Sitze hier, das Laptop auf dem Schoß. Die kühle Luft zieht mir schon den ganzen Tag an den Füßen hoch. Jetzt ist es rum mit Sommer. Und ich stelle fest:

Die vergangenen Tage sind weg.

Ich habe mich abgeschossen. Raus aus dieser Welt. Stunden der fast toten Entspannung. Mein Körper. Der lag wohl den ganzen Tag durch die Wohnung. Bewegte sich zum Trinken. Nicht mehr so viel wie damals in der Klinik. Hie und da bewegte er sich dann auch mit mir nach draußen für erste Testläufe in der alten Realität der Arbeit. Dann wieder Kopfhörer drauf und weg. Wir gehen noch einmal ein bisschen zurück. Was ist passiert seit ich aus dem Krankenhaus raus bin? Weit bin ich nicht gekommen. Von der Wohnung auf den Balkon und zurück. Nun, auf dem eigenen Balkon passiert gewöhnlich wenig. Ich frage mal bei meinem Balkon nach, was er so beobachtet hat. Er war ja schließlich immer da.



Nein. Außer dass sich in der letzten Woche ein immer rundlicher werdender Körper auf ihn gelegt hat, … nichts. Die Körperszenen allerdings, sagt er, die wären fast Krimi reif gewesen. Hätte er ein Handy gehabt, hätte er Horrorreißer auf Insta gestellt. Nein, sagt er, da war wirklich wenig außer diesem Körper, der sich hinlegt, das Gesicht mit Klamotten zudeckt und dann aber so was von leblos über Stunden daliegt. Irgendwann, sagt er, hat der Körper dann wieder einen tiefen Atemzug getan, sich gestreckt und ist wieder lebendig geworden. Manchmal, sagt der Balkon, hat ihm der Körper die Fliesen gekehrt. Ihm mit dem Gummibesen und Wasser sauber den Rücken geschrubbt. Aber sonst, sagt er, war auch von diesem Körper nicht viel zu sehen.


Dieser Körper gehört zu mir. Hat sich einfach langsam hoch gefahren. Ganz viel sich weg geschossen. Keine Drogen. Brauche ich nicht. Bin naturprall. Selbsthypnose. Kann man denken was man will. Ich denke, dieses total aus der Zeit gehen hat uns beiden geholfen. Meinem Körper und mir.


Und, ich merke gerade, ich lass ihn schon wieder nur rennen. Meinen Körper.

Mach jetzt den Balkon zu, lege mir eine warme Decke über und schau mal was noch geht mit völligem Nichtsvorhandensein.

Bis später. Vielleicht.

Meine Uhr meldet. Zeit für Bewegung.


Ich überlege. Könnte gar nicht doof sein. Keine direkte Sonne gerade.


Späten Nachmittag, zu viel Lärm kommt zurück Den ganzen Tag saß ich da, hab Geschriebenes korrigiert und mein zweites Dasein, meinen Körper dabei schon wieder vergessen.


Das Wetter schlägt seit gestern um. Es regnet viel. Es ist kalt. Glaube ich. Grau. Regen. Füße bei offener Tür. Sensor meldet 'kalt'. Also bleibe ich den ganzen Tag hocken.


Die Muse, mich abzuschießen, in zwei Teile zu teilen. Gedanken im Nichts verlaufen zu lassen. Nur jetzt und hier nirgends zu sein, derweil mein Körper Zeit hat, sich um sich zu kümmern. Schon irre, wie schnell mir das zuhause wieder verloren geht. Die pflichtbewussten Bürokraten nehmen schon wieder ihren Dienst auf. Ganz unbemerkt fahren sie schon wieder Pater Noster hoch und runter, rennen g’schaftig links und recht und verbreiten den Glaubenssatz: 'Du musst was tun, sonst keine Existenz'. Funktioniert bei mir immer.


Hatten wir das nicht schon mal? Dass die Menge der nicht sich selbst Reflektierenden besonders gern denen hinterher rennt, die rum g‘schaftln ohne selbst irgendeinen Plan zu haben? Denen, die besonders laut brüllen und hülsenlose Mantras besonders oft wiederholen?

Ich glaube zu erkennen, warum diese Menschen so sein müssen. Von sich eingenommen. Überzeugt. Blöd.

Meine Bilder im Kopf. Dssssss. Ich nehme an, das Innere ihrer Gehirne ist derartig gegen Denk-Anstöße von Außen abgepuffert und somit zwangsläufig räumlich eng bemessen, dass die wenigen Gedanken darin bei jedem Schritt zu einem neuen Standpunkt an die gegenüberliegende Zellenwand dotzen. Sich mit einem reflexartigen 'Hoppala, hihi' dämlich zu Wort melden. Nachdem sie ja von der gepolsterten Wand schadlos abprallen und aufgrund des kurzen Weges gleich wieder auf der anderen Seite aufkommen, löst das natürlich eine Rasche Folge von inhaltlich wenig ergussreichen, pingpongartigen Wiederholungen aus. Daher vermutlich das gebetsmühlenartige Schwachsinn verzapfen. Die Bilder hören nicht auf. ... Im Vergleich zu dieser Bauweise, sind natürlich Hirn-Innenwand-bezogen dünnwandig ausgestaltete Denker klar im Nachteil. A dringen die Anstöße von außen leichter bis Innen durch. B finden sie mehr Raum sich als neuer Denkansatz ein Plätzchen zu suchen um sich niederzulassen. C sollte sich ein Gedanke gemütlich an der Außenwand festgesetzt haben, so hätte dieser Gedanke, im Falle eines Anstoßes von außen natürlich eine deutlich erhöhte Gefahr nachhaltigen Schaden zu leiden. Schon allein aufgrund des fehlenden Hirninnenseitenpuffers. Der Aufprall wäre deutlich härter. Überlebt der Gedanke diesen Unfall dennoch, so wird er sich voraussichtlich verändert haben.

Eigentlich doch ganz einfach. Die geistig Gepolsterten, die gerade aufpoppen können nichts für ihr Sein. Nichts für die Hektik, die sie verbreiten. Nichts dafür, dass sie den Müll der anderen hohlen Profilbirnen weiter verbreiten. Das sind einfach die Hoppalas der wenigen Gedanken deren Gummizellen. Nein, sie können nichts dafür. Sie haben gar keine Möglichkeit zur Veränderung. Sie haben die geistige Ausstattung für flexibles, durch Anstöße veränderbares, erweiterbares Denken nicht. Keine Chance, auf nicht bekanntes zu re-agieren. Letztlich also arme Wesen.

... Wie komm ich denn eigentlich darauf? Zu verspult für euch? Macht nichts. Für mich war’s logisch. Klärend. Vielleicht auch ein kleiner Weg aus der Stressfalle Arbeit, die auf mich wartet. Nächste Woche.


Arschbacke meets Arschbacke Mein Körper hatte doch noch eine Chance, sich bei mir zu melden und so bin ich inzwischen zu Fuß und in Multifunktionsjacke auf dem Weg zur Arschbacke. Eine Hügelformation bei uns. Keine Yogaübung und auch nicht, was ihr denkt.


Gedanken fließen wieder. Es ist eigentlich richtig schön warm, ruhig, ein wenig dampfig. Mein Ort wuselt endlich mal nicht. Habe den Weg für mich.

Schritt für Schritt vor Schritt Vor Schritt VOr Schritt VOR Schritt. Der Weg ist schmal. Das stimmt. Dennoch gibt es keinen Grund, G., dass du wieder läufst, wie du es immer tust. Als ob du permanent auf einem Drahtseil balancieren müsstest. Mir fällt es für einen Moment wie Schuppen von den Augen. Ich laufe seit Jahren auf einem Drahtseil, und niemals stehe ich dabei wirklich auf meinen Füßen. Bezeichnend.

Ich konzentriere mich darauf, einen Fuß nach dem anderen hüftbreit aufzusetzen. Mit lockerer Hüfte. Das Korsett vergessen. Auf den Füßen stehen, nicht drum herum. Sanft aufsetzen. Sanft, sanft, sanft.

Nicht immer so leicht das umzusetzen, Vor allem, dabei nicht die Turnbeutelchen um die Muskeln wieder derart zuzuziehen, dass diese um Hilfe schreien. Die Turnbeutel? Ach so. Entschuldigt. Meine Bilder im Kopf wieder. Für mich sind die Faszien um die Muskeln wie Turnbeutel früher. Stopfst‘ne Menge bewegliches, stoffiges Zeug rein. Ziehst du dann den Beutel nur leicht zu, hat die Kleidung darin eine Chance. Ziehst du den Beutel aber zu wie ein Stier, wird’s eng da drin. Ich bin ein König darin, die Beutel um meine Muskeln zuzuknallen. Also versuche ich in meinem fortschreitenden Alter umzulernen. Dauert allerdings, bis die neuen Autobahnen von Intuition zu Umsetzung fertig sind.

Schritt für Schritt torkle ich wie ein Besoffener in der Arschbackenritze nach oben. Grins. Eure Bilder. In eurem Kopf. Hehe. Schritt für Schritt für Schritt. Anstrengend, das bissl Schritte aufwärts.


Ich bin grad voll genervt. Das ist nicht, was ich jetzt will. Das Reiben der Ärmel am Körper, Funktionsstoff auf Funktionsstoff nervt mich gewaltig. Das ist schlimmer als Straßenlärm.

Ich will Ruhe. Ich fühle, zu viel Lärm kehrt zurück in mein Leben.


Hochgehen nervt mich auch. Weil, ich will ja gar nicht in den Wald. Und mich nervt, dass die Prozent Steigung, die ich normal nicht mal wahrnehmen würde mich derart anstrengen. Ich dreh um. Schlagartig fühle ich mich besser. Nicht unbedingt körperlich aber … Ich bin wieder daheim in meiner Welt. Patientengarten. Sinnlos wie ein Tiger im Käfig hin und her latschen. Das fühlt sich gerade besser an.

Gleich komm ich zur Ruhe.


Trotzdem zieht es mich. Ich biege ab in den Waldweg. Vielleicht komm ich bis zum Fluss. An den Fleck, wo ich ganz sicher meine Ruhe habe. Aber, keine fünf Schritte komme ich in den Wald. *Dunkel. Bäh. Zu weit heute. Mag ich jetzt auch nicht.* Wer spricht?

Dreh um.


Will noch was von dem schönen Himmel sehen, während ich laufe. Das geht nur unten auf dem Teer an der Straße entlang.

*Will ich nicht. Will Natur*, mein persönliches Quengelkind wieder. *Dann, Kind, musst du wohl am Waldrand lang. Der Weg ist aber verwachsen. Da wirst saftig nass werden. Hängt ja überall der Regen drin*, geb ich zurück. *Will ich auch nicht*, motzt es in mir. *Werd ich nur noch krank. Brauch ich jetzt nicht.*

*Ja Himmelarsch, was willst denn dann?!*

Am liebsten will ich am Hang sitzen und den Sonnenuntergang sehen. Aber des ist auch alles nass. Jacke auf den Boden? *Dann wird mir kalt. Außerdem ist die Jacke meine einzig gute.*

*Mein Gott, dann mach doch was du willst!!!*


Ich stapfe ein wenig den Berg hoch. Da liegt ein richtig dicker Ast am Boden. Der sieht einigermaßen trocken aus. Meine Sitzhöcker werden sich bedanken. Oder mein Steißbein, denk ich mir. Kenne meine unterseitig-innwendigen Breitenverhältnisse nicht so gut.

Ich probier mal und setze mich.

Hm.... Nach kurzer Zeit: Ja, die Sitzhöcker machen das nicht lang. Probieren wir mal eine Arschbacke. Ob das Knie das schon kann? Geht.

Ich könnte wieder mal „pissed“ sein, weil die Polsterung meiner Arschbacken dank Krankenhaus, wieder aufkommenden Mandelmusattacken und Nichtsport seit Wochen ihr Volumen derart aufbessern konnte, dass diese, meine Arschbacke an der Arschbacke bequem und ohne jeden Knochendruck auf einem verflucht unbequemen Ast Platz nehmen konnte. Arschbacke trifft Arschbacke. Funzzt, denk ich mir. Wenn es mir nicht gelingt, meinen Körper diesbezüglich im Griff zu haben, dann ist das jetzt halt so. Ende.




Sitze ich eine Weile. Genieße das Zirpen der Grillen, die wunderschönen Wolkenbilder, die gleißende Sonne dahinter. Runterfahren.


Bis ich hinten, oben, an der linken Arschbacke schon wieder Menschen höre. Ich sehe mich um und sehe einen hektisch den Hang runter hechtenden Hund. Allein der Anblick dieses Hundes mit seinen eckigen, von prallen, unbeweglichen Muskeln steifen Kraftprotzbewegungen nervt mich. Macht mich fast aggressiv.

Hey, entspann dich mal, G.! Keine Ahnung, was heute mit mir los ist. Nicht nur der Hund nervt mich. Die dazu gehörigen Menschen erst recht. Ausatmen. Langsam, tief einatmen. Das dauernd brabbeln, ständig dem Hund Stöcken schmeißen. Meine Fresse, ich bin grad gewaltig sensibel. Kenn mich so gar nicht.

Aber, ich muss ja nicht.


Stehe also auf und wandere wankend und schwankend den Weg zwischen den Gräsern Richtung Straße. Soll mich mein Ort doch torkeln sehen. Solange ich weiß, warum ich so bin wie ich bin, kann man mich fragen, was mit mir los ist oder sich seine eigenen Gedanken machen. Für die allerdings bin dann nicht ich verantwortlich.

So schlendere ich doch auf der Straße zurück. Autos überholen mich von hinten. Fußgänger in einem Stechschritt, den ich gerade weder leisten könnte noch mögen würde.

Radfahrer, Jogger, Autos. Von vorne. Von hinten. Je schneller das Treiben um mich, desto langsamer und entspannter wird mein Schritt.


Ich bin auf einer anderen Zeitspur. Fühle mich wie eine Momo, die da ist, den Menschen die verrannte Zeit zu bewahren. Je schneller ihr seid, desto langsamer muss ich werden.

Ich blende den Lärm um mich aus, höre den Grillen zu. Ich schlendere, ich bleibe stehen, suche die Vögel, die neben mir im Busch sich lautstark unterhaltend zu einem Feierabendbeerchen zusammenfinden: Nicht zu finden die Biester. Irre.

Setze mich wieder in Gang. Da überholt mich links, leicht wankend, ein Fahrrad. Ein junger, arabisch wirkender Typ. Kommt eventuell vom Sportplatz. Dreht sich um und eiert dabei wie der Postler. Pass auf Junge, gleich fährst den Bordstein runter! Er dreht sich also um, grinst mich, als er endlich die linke Hand vom Lenker bekommen hat an, streckt mir seinen erhobenen Daumen entgegen und sagt so was wie: „Du, Lauf“ und grinst. Daumen hoch. Er fängt erst das Vorderrad, dann sein Gleichgewicht wieder ein und schleicht davon.


Was bitte war das?

Dann verstehe ich. Muss ein wenig lachen.

Schön, denke ich. Ja, um den Sinn der Langsamkeit zu verstehen muss man wohl entweder aus einem fernen Lande kommen oder von seinem Körper eine saftige Watschen bekommen haben.

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