015_2020. Anfahren. Von Null auf Normal. Tag 29
- GM
- 16. Sept. 2020
- 5 Min. Lesezeit
Tag 29, Tag einundzwanzig zuhause, Freitag
Ich muss mal kurz kacken Irre, wie schnell dieser kleine Hund lernt. Ich habe soeben genau einmal zehn Meter hin und zurück gezeigt, was Frau von Damals tun muss, damit ihre zartgebaute Fressmaschine, ihres Zeichens schwarzer Labrador von elf Wochen, aufhört ständig in Richtung Belohnungsfutter zu hüpfen. Dreimal den Belohnungspunkt geändert und der Zwerg pappt beim Laufen am Boden, als ob er von Springen noch nie was gehört hätte. Frau von Damals sieht, hört zu, setzt um. Als ob sie im Leben noch nichts anderes getan hätte. Selten, Menschen mit einer solch schnellen Auffassung und vor allem Umsetzung. Cool. Lauter tolle Kunden heute, denke ich. Hätte ich, zugegeben jetzt nicht vermutet bei den beiden. Wow! Ich bin ehrlich beeindruckt. Dann können wir ja gleich noch weitere Feinheiten angehen.
Wir stehen vor den Mülltonnenhäuschen des Wohnblocks gegenüber auf dem Gehweg. Bisschen viel los heute hier. Bestimmt fünf Leute, die zwischen uns durch oder um uns herum wandern. Nicht der ideale Treffpunkt, um sich auf meine Anweisungen zu konzentrieren. Mist. Ich bin fertig mit meiner Erklärung und habe gerade die neue Aufgabe an Frau von Damals übergeben, da klingelt mein Handy in der Hosentasche. Ausgerechnet jetzt! Ich ziehe das Teil mit zwei von Hüttenkäse, Feuchtfutter und Sabber verbatzten Fingern aus der Seitentasche meiner Hose. „Entschuldigung“, zu meinen Kunden, „Fangen Sie schon mal an. Ich muss nur eben kurz kacken.“
…
Ähm
…
Ja.
„Bitte? Na, dann gehen Sie doch eben kurz hoch“, er. Seines Namens Götz. „Was?“ ich, geistesabwesend. Inzwischen versuchend, erst einmal den Ton möglichst ritzenrückstandsfrei lautlos zu fummeln. „Na, wenn Sie eben mal kacken müssen“, er. „Was? … Ach so“, ich. „Haha, sehr witzig. Ne“ grinse ich, immer noch im Fummelkampf mit den Knöpfen. Abgelenkt durch den Namen, der auf dem Display leuchtet. „Mist, des wäre jetzt wichtig, da müsst ich eigentlich gleich …“ Ich meine natürlich den Anruf. „Aber bitte nicht hier! Jetzt?! Auf dem Gehsteig?!“ er. „Nein, also wirklich nicht“, seine Frau empört „Dann gehen Sie doch wenigstens hinter das Häuschen, da. Oder da.“ Sie zeigt auf die Hecke links hinter mir. „Aber wirklich“, er. „Ums Eck sozusagen“, ich.
Ich bin eigentlich immer noch nur halb da, denn es ist Julia, die mich aus dem Krankenhaus in Murnau endlich anruft. Ich warte schon seit Tagen auf ein Lebenszeichen.
„Oder da rein von mir aus“, sie deutet auf das Häuschen. „Das Mülltonnenhäuschen?“ ich. „Na, hm. Ach ich weiß nicht“. „Ja wenigstens das“, sie. „Da wär Müllers Müll wenigstens gleich beim Müll, stimmt. Das wäre …, immerhin …“, ich. Lachen. Bierernst weiter. Ohne eine Miene zu verziehen. „Hm, ich weiß aber nicht, glaub, da bekomm ich dann doch Ärger mit den Mietern hier. … Fürchte ich“, ich noch einmal. „Auch nicht!?! Ja was dann?! Sie wollen jetzt wirklich hier? Mitten auf dem Weg?“ Ne?!“ Er dreht sich mit einem angewidert, entsetzt, wiederholt fragendem „Neee, aber nicht wirklich jetzt?!??“ weg. Zu seiner Frau. „Echt jetzt?!“ zu mir zurück. „Wollen Sie dann wenigstens eine Tüte?“ „Wie?“ ich, mich langsam ihnen voll zuwendend, weil das Handy gerade stumm in die Tasche rutscht. „Brauchen Sie einen Beutel? Wir haben da noch welche.“ Zu seiner Frau: „Komm, gib mal einen her“. „Nu, wat mutt dat mutt“. Ich strecke die Hand in Richtung seiner Frau. Die zieht gerade einen Kotbeutel aus der Tasche, den ich mit einem höflichen „Danke“ in Empfang nehme.
Jetzt ist Polen endgültig offen. Die Lachtränen fließen auf allen Seiten. Scheinbar mutet diese, wenige Sekunden dauernde Situation die gerade vorbei gehenden Passanten doch ein wenig seltsam an, Sie sind reichlich irritiert, weichen aus, sehen sich um.
Schön, geht ja doch noch. Auch hier draußen. Ich bin für einen Moment versöhnt, dass ich aus meinem viereckigen Paradies Patientengarten verbannt wurde. Das ist mein Humor! Jackpot. Ihr seid meine Leut. Furztrocken. Ironisch.
Passt.
Couch, abends Die Zeit hat mich wieder. Ich ticke mit. Kaum noch Blasen, in denen ich davon kann. Meine Finger ruhen auf den Tasten. Es ist dunkel draußen.
What the memories say, Jason Tyrello Sunfade Mix, aber das ist schon Nebensache. Keine Langsamkeit mehr, denke ich mir und fange an, meinen Kopf in Zeitlupe mit dem langsam treibenden Takt der Musik zu wiegen. Mir wird als schwimme ich auf ihren Wellen mit. Entweder ist mein Gleichgewichtsorgan angegriffen, meine Halswirbelsäule völlig im Arsch oder ich kann es doch noch. Mich aus dieser Welt beamen. Mein Körper will mit. Der Rhythmus. Die Finger fliegen wieder. Kaum Fehler. Dann will der Körper wieder seinen Teil. Die Zehen unter dem Laptop fangen an zu zucken. „Listen….“ I listen, my dear und wie ich listen. Jede Pore meines Körpers listent. Dann zupft die Gitarre, der treibende Bass hat Pause. Die Finger ruhen auf den Tasten.
Asdf e klddd kdd k kkk kaerkddkdddddddddd die Finger gehorchen mir nicht mehr. Sie sind dabeiiiiiii .. .. .. .. .. .. Die Tastatur wird zur Basedrum. Perkussion am Computer.
Meine Stimmung hebt sich.
So wird das aber nix mit dem erzählen heute. Vielleicht sollte ich mal die Dauerwiederholung aus der Musik App raus nehmen.
Yes, when the sun goes down…. I go to my place, where I belong and listen, what the memories say…. YES, I do!
Ich sitze hier, im Schneidersitz auf meiner Couch, sehe die schönen Blumen vor mir. Kleine Sonnenblumen, umrahmt von zartem Feengras, winzigen, orangenen Nelken und sattgelben Crysanthemen, die nach innen Blutrot werden. Herbstlich. „Listen…“ Hase ich kann jetzt nicht mehr auf meine Memories listen und auf denen verführerischen Takt. Ich sättige mein Auge gerade an den sanftmütigen Farben dieses Herbststraußes. Das Tablet auf dem Schoß. Eigentlich mag ich Crysanthemen überhaupt nicht. Für mich eine der künstlichsten Notlügenblumen. Keine Ahnung, was ich meiner Frau mitbringen soll. Nehmen wir eben Crysanthemen. Weltfrauentag? Rosen wären verfänglich. Nehmen Sie doch Crysanthemen. Krankenbesuch? Sie wissen nicht, welche Blumen derjenige mag? Crysanthemen. Aber als kleiner Accent in diesem Bild, als Tupfer Farbe, so gebrochen durch den roten Kern. Bin ich versöhnt mit Crysantehme.
Ich schalte die Dauerschleife aus. Lege das Handy wieder zur Seite und schon wieder geht es los. Listen… ja sag ma! Du weißt aber auch nicht wann gut ist. Ich blicke zu meiner linken Hinternhälfte setze meinen Daumen auf ein Lied vor…. Na des passt jetzt aber gar nicht.
*Oh. Hallo Herr Zoster. Haben sie was vergessen in meinem Gesicht? Sie hatten gestern Auszugstermin, das wissen Sie schon oder? Wie? Ihnen würde die Musik nicht gefallen? Mir auch nicht. Aber ich wüsste nicht, was Sie das noch angeht. Was haben Sie denn vergessen? Dass Sie nicht mehr hier wohnen? Ja das tut mir leid für Sie. Aber ich habe bereits neu vermietet. An wen? An mich selbst, wenn Sie erlauben. Auf Wiedersehen. Und nehmen Sie ihr unerzogenes Kind Schmerz mit. Danke.*
Ich muss mal eben googlen ob wir kurz vor Vollmond sind. Soll mir einer erzählen, das wäre Humbug. Alle alten Reparaturen – gelungen und missglückt – melden sich. Das Ileo beschließt wieder einmal, sich zu verschränken und keine Botschaften mehr nach unten durchzulassen. Zack. Knie schwimmt, der Nerv ist beleidigt und meine Lymphbahnen lümpfen die Nase. Alles verstopft. Es nervt. Selbst die soziale Seite hängt. Die im Gesicht meine ich. Die beglückte. Die rechte. Sagt man, sei die soziale. Seltsam, dass ich genau auf der nach einem Untermieter angefragt zu haben scheine. Das nächste mal nehme ich aber keinen mehr, den ich nicht vorher ausgiebig durchleuchtet und auf Coronaabstand beschnuppert hab. Mein rechter Mundwinkel hängt heute. Hab mir mit dem Finger in die Backe gedrückt, blieb kurz ein Loch. Verdörrtes altes Weib. Nu geht’s los.
…
Wo komme ich denn dauernd hin heute. Bin, glaube, zu müde. Ich zieh mir jetzt Sesam rein. Soll glücklich machen. Und leg mich ab. Glaub ich.
Boa Kraft, jetzt kannst du langsam mal zurück kommen.
Comentarios